Kompromisse und revolutionäre Prinzipienfestigkeit

Die FARC-EP als eine revolutionäre Organisation befindet sich mit der kolumbianischen Regierung in einem Friedensprozess. Das sich hierbei zwei  Gesprächspartner an einem Verhandlungstisch wiederfinden,  die grundsätzliche konträre politische Ziele verfolgen war den meisten Menschen zwar sowohl innerhalb, als auch außerhalb der FARC-EP durchaus bewusst.  Doch schon nach wenigen Wochen wurden die Unterschiede deutlich und sorgten intern und bei Sympathisanten der revolutionären Organisation für Diskussionsstoff, inwieweit eventuell abgeschlossene Kompromisse die Prinzipienfestigkeit der FARC-EP aufgeben. Ein Leitartikel im Zuge des bevorstehenden 1. Mai.
Eine allgemeine Grundbedingung für die politische Arbeit und das Erreichen von seinen politischen Zielen ist die Fähigkeit und Notwendigkeit, Kompromisse eingehen zu können. Klar ist, dass alleine der Gedanke vom Eingehen von Kompromissen wiederum andere Fragen aufwirft. Wann und unter welchen Umständen kann man Kompromisse eingehen? Mit wem und welchen politischen Kräften kann ich Kompromisse eingehen? Sind Kompromisse prinzipiell gleichzusetzen? Warum muss gerade jetzt ein Kompromiss abgeschlossen werden? Werden mit den Kompromissen die Aufgaben für die revolutionäre Sache aufgegeben?

All diese Fragen können nur beantwortet werden, wenn die Politik der revolutionären Organisation und die Geschichte und Taktik der marxistisch-leninistischen Organisationen erörtert werden. In Kolumbien bezieht sich dies nicht nur auf die Bestimmung der FARC-EP als linke Bewegung und ihren Zielen innerhalb des kolumbianischen Volkes, sondern auch auf die Geschichte des Landes, den Partner am Verhandlungstisch, die Mittel und Formen des Kampfes und das Kräfteverhältnis.

Besonders das Kräfteverhältnis, zum Beispiel in den jeweils örtlich und zeitlich bedingten Abschnitten des revolutionären Kampfes, spielt eine wichtige Rolle. Wie wirken sich die Kräfteverhältnisse innerhalb von Kolumbien, aber auch im internationalen Maßstab aus? Das Kräfteverhältnis lässt sich nicht alleine mit Zahlen bestimmen, also nach den jeweiligen zahlenmäßigen Unterstützern und Sympathisanten und schon gar nicht anhand von ökonomischen oder militärischen Kennziffern. Denn „Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.“ (Marx/Engels, Werke, Bd. 16, S. 12) Zahlen nützen also nur etwas, wenn sie im Zusammenhang und in ihrer Bewegung gesehen werden.

Während der Oktoberrevolution in Russland sind die Bolschewiki nicht nur davon ausgegangen, dass die Arbeiterklasse zahlenmäßig relativ schwach war, sondern sie ließen sich auch davon leiten, dass sie als revolutionäre Kraft sehr organisiert waren. Und um die politischen Ziele zu erreichen, mussten sie sich mit den anderen Werktätigen und Schichten verbünden. Weiterhin war zwar rein faktisch gesehen ein zahlenmäßig größeres Kräfteverhältnis auf den Seiten der Kapitalisten, besonders im internationalen Bereich war die Umklammerung und die politische sowie militärische Stärke klar erkennbar, doch ein ungünstiges Kräfteverhältnis soll keinem zu politischer Passivität zwingen, denn mit Kompromissen zu politisch ähnlich gelagerten Organisationen, aber auch völlig konträr stehenden Verhandlungspartnern, kann eine solche Strategie für ein Maximum an revolutionären Veränderungen und ein Minimum an eigenen Verlusten sorgen.

Lenin schreibt dazu: „Die Kunst des Politikers besteht darin, die Bedingungen und den Zeitpunkt richtig einzuschätzen, wo die Avantgarde des Proletariats die macht mit Erfolg greifen kann, damit sie während und nach der Machtergreifung auf eine ausreichende Unterstützung genügend breiter Schichten der Arbeiterklasse und der nichtproletarischen werktätigen Massen rechnen kann, wo sie nach der Machtergreifung ihre Herrschaft dadurch behaupten, festigen und erweitern kann, dass sie immer breitere Massen der Werktätigen erzieht, schult und mitreißt.“ (Lenin, Werke Bd. 31, S. 36) Ohne Bündnisse, wie im Fall der FARC-EP im Fall die Zusammenarbeit und der Drang, die sozialen und politischen Bewegungen in den Friedensprozess miteinzubeziehen, oder dem Erkennen des eigenen Standpunktes innerhalb der historischen Linie, schließlich gibt es in Kolumbien einen Bürgerkrieg, der nun schon über ein halbes Jahrhundert andauert und was zu einer Negativstimmung in der Bevölkerung führt , können die politischen Ziele nicht erreicht werden.

Die FARC-EP kann den Kampf und ihre politischen Ziele nicht allein gewinnen. Das Kräfteverhältnis liegt militärisch zugunsten der Regierung, auch wenn die FARC-EP militärisch nicht besiegt werden kann. Die Zustimmung in der Bevölkerung ist zwar in vielen Gegenden groß, ein politischer Umschwung aber unrealistisch, weil viele Menschen den Krieg satt haben und politisch nicht überzeugbar sind. Die Friedensverhandlungen schaffen nun eine Bühne, auf der sich die FARC-EP in der Öffentlichkeit präsentieren und in denen sie Kompromisse und die Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften ausloten kann. „Einer der größten und gefährlichsten Fehler von Kommunisten (wie überhaupt von Revolutionären, die erfolgreich den Anfang einer großen Revolution vollbracht haben) ist die Vorstellung, dass eine Revolution von Revolutionären allein durchgeführt werden könne.“ (Lenin, Werke, Bd. 33, S. 213)

Kompromisse sind also notwendig, auch wenn man sie mit teilweise unliebsamen „Verbündeten“ eingehen muss. Hierbei muss sich die FARC-EP auf das Übereinstimmende und Verbindende konzentrieren und außerdem die Erreichbarkeit ihrer politischen Ziele und die historische Frage nach dem bewaffneten Kampf hinterfragen. Es darf aber auch nicht sein, dass die politisch-ideologischen Gegensätze vertuscht und die eigenen revolutionären Ziele komplett aufgegeben werden. Der Kampf um Frieden und für politische Veränderung in Kolumbien verlangt ein breites Aktionsbündnis der verschiedenen sozialen Schichten und politischen Kräfte. Unter Umständen umfasst es eben auch Teile der kolumbianischen Regierung oder politische Kräfte, die in historischen Zeitabschnitten als Feinde agierten. Lenin forderte in diesem Bezug immer das „strenge Auseinanderhalten von Schattierungen“ (Lenin, Werke, Bd. 5, S. 380). Frieden und politische Veränderungen liegen im Interesse aller Kolumbianer und Lateinamerikaner. Deshalb bestimmte Versuche nicht zu wagen oder bestimmte Kräfte auszuschließen würde zu einer Unglaubhaftigkeit führen.

Wichtig ist jedoch, bei Beginn einer politischen Aktion wie dem Beginn der Friedensverhandlungen, die Möglichkeiten eines politischen Sieges realistisch einzuschätzen, obwohl Erfolg oder Misserfolg wahrscheinlich nie genau vorhergesagt werden können. Doch sind bestimmte Faktoren gegeben, zum Beispiel ein Patt im militärischen Bereich, Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung oder generelle Schwierigkeiten bei der Vermittlung politischer Ziele in der Bevölkerung aufgrund von Gegenpropaganda und Repression, dann sind Verzögerungen im politischen Handeln denkbar schlecht. Die FARC-EP hatte in den letzten 10 Jahren mit einer politischen Isolierung auf nationaler und internationaler Ebene zu kämpfen. Manuel Marulanda Vélez, Oberkommandierender der FARC-EP bis 2008, sagte einmal, dass der größte Feind nicht die Polizei oder die Armee sei, sondern das isolierte Handeln einer revolutionären Organisation ohne großen Rückhalt in der Bevölkerung. Die Entscheidung, jetzt oder später Kompromisse einzugehen, um diese Missstände zu bekämpfen, scheint also der momentan richtige Weg zu sein.

Trotzdem darf die FARC-EP nicht Gefahr laufen, und ihre besonders in den letzten zwei, drei Jahren gewonnene politische und militärische Position (Konsolidierung und Stärke) aufs Spiel zu setzen. Lenin dazu: „Den Kampf aufzunehmen, wenn das offenkundig für den Feind und nicht für uns günstig ist, ist ein Verbrechen, und Politiker der revolutionären Klasse, die nicht `zu lavieren, Übereinkommen und Kompromisse zu schließen´ verstehen, um einen offenkundig unvorteilhaften Kampf ausweichen, sind keinen Pfifferling wert.“ (Lenin, Werke, Bd. 31, S. 63) Kompromisse, wie ihn die FARC-EP aktuell bedenkt, sind also zu unterscheiden von faulen Kompromissen, in denen das Leben einer revolutionären Organisation in Gefahr gerät, wo reaktionären Kräften unnötige Zugeständnisse gemacht werden und wo das eigene Kampffeld ohne Nutzen geräumt wird.

Es gibt also solche und solche Kompromisse; diejenigen, die in der aktuellen Lage als sinnvoll erscheinen und jene, die politischen Verrat bedeuten und eine revolutionäre Organisation in die Krise führen. Wie anfangs schon erwähnt, sollten die Begleitumstände und historischen wie politischen Bedingungen genau betrachtet werden. Denn die Stärke einer revolutionären Organisation wie der FARC-EP sollte es sein, dass sie nicht nur das tut, was sie beschlossen hat, sondern auch, dass sie die gesellschaftlichen Prozesse und Stimmungen richtig erkennt und die politische Arbeit daraus ableitet. Eigenes Fehlverhalten in der Geschichte und die eigenen Erfahrungen müssen selbstkritisch überprüft werden. „Das Verhalten einer Partei zu ihren Fehlern ist eines der wichtigsten und sichersten Kriterien für den Ernst einer Partei und für die tatsächliche Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrer Klasse und den werktätigen Massen. Einen Fehler offen zuzugeben, seine Ursachen aufdecken, die Umstände, die ihn hervorgerufen haben, analysieren, die Mittel zur Behebung des Fehlers sorgfältig prüfen – das ist das Merkmal einer ernsten Partei (…).“ (Lenin, Werke, Bd. 31, S. 42).

Fragen zur Einschätzung des Kräfteverhältnisses, der Strategie und Taktik im weiteren Vorgehen des bewaffneten und politischen Kampfes spielen aktuell bei der FARC-EP eine wichtige Rolle. Zum einen geht es der FARC-EP um eine militärische Verteidigungsfähigkeit und um die Möglichkeit, weiterhin Druck auf die Regierung ausüben zu können und ebenso um die Glaubwürdigkeit, wirkliche Veränderungen für die kolumbianische Gesellschaft herbeizuführen. Zum anderen hat die FARC-EP die kolumbianische Bevölkerung im Auge und eine Entwicklung, die im Interesse der Menschen steht. Frieden für Kolumbien ist dieses große Ziel, nach dem sich ein Großteil der Bevölkerung sehnt. Dafür müssen auch Kompromisse eingegangen werden. Revolutionäre Politik soll prinzipienfest sein, aber auch flexibel und kompromissfähig.
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