Wie funktioniert der Zentrale Generalstab der FARC-EP?

Wie der Zentrale Generalstab der FARC-EP funktioniert, diese Frage stellen sich viele Institutionen, Medien und Beobachter. Auch wir als Informationsportal haben dies des Öfteren versucht zu erklären und können ähnliche Schlüsse ziehen, wie es die Stiftung Konfliktbewältigung (Fundación Conflict Responses – CORE) zuletzt herausgestellt hat. Wesentliche Merkmale sind vor allem in der zeitlichen Komponente zu sehen und auch im aktuellen Prozess, Verhandlungen mit der Regierung zu führen. Der potenzielle Friedensprozess ist einer der wesentlichen Faktoren in der Herausbildung von Befehlsstrukturen und einer kollektiven Entscheidungsgewalt im Zentralen Generalstab. Wichtig ist, dass erst die Verhandlungen mit der Regierung dafür gesorgt hat, dass es ein Treffen aller Kommandierenden der FARC-EP gab. Dies festigte die Strukturen enorm, wie wir es bereits im April (Bemerkungen zum Plenum und öffentlichen Auftritt der FARC-EP) und auch im März (Der Friedensprozess als Chance der Politisierung) herausstellten.

Schon früh bei der Gründung der Strukturen rund um den Zentralen Generalstab, der damals noch nicht so existierte, gab es ein Treffen der Kommandierenden im Jahr 2017 in der Region Guayabero. In jener Zeit leitete Gentil Duarte die verschiedenen Einheiten der Guerilla im Südosten. Zur gleichen Zeit war Iván Mordisco dafür verantwortlich, Waffen, Geld und Kämpfer in andere Gebiete des Landes wie Arauca, Catatumbo, Putumayo und Cauca zu schicken, um zu versuchen, lokale Einheiten zu stärken und sicherzustellen, dass sie sich dem Projekt unter Gentil Duarte anschließen. Die damaligen dissidentischen Strukturen waren im Aufwind, nach dem der Friedensprozess der „alten“ FARC-EP aus dem Jahr 2016 immer mehr als Scheitern angesehen wurde. So tauchten überall im Land neue Strukturen auf, die unter dem Banner der FARC-EP agierten. Noch waren diese Strukturen lose und eher lokal begrenzt. Gentil Duarte und Iván Mordisco erkannten die Wichtigkeit der Reorganisation und Neustrukturierung.

Das vielleicht beste Beispiel für diese Leute, die in die Regionen entsendet wurden, um das gemeinsame Projekt der FARC-EP zu stärken war Jhonier, der schließlich das „Wetsliche Koordinationskommando“ formierte. In diesem Bündnis waren schließlich mindestens sieben Einheiten organisiert, darunter Fronten, mobilen Kolonnen und Kompanien. Anfang 2020 ging das Bündnis, dass sich der 1. und 7. Front unterordnete, das erste Mal an das Tageslicht. Seitdem gewann das Westliche Koordinationskommando an Stärke. Jhonier war vorher auf der mittleren Kommandoebene der 1. Front im Süden des Guaviare tätig gewesen und wurde zu diesem Zweck Ende 2019 von Duarte und Mordisco und Duarte in die Provinz Cauca entsandt. Im gleichen Zeitraum, zwischen 2017 und 2020, gab es weitere Vernetzungen mit Strukturen in Antioquia, Arauca und Norte de Santander, die sich mit dem Projekt verbanden – immer mit Hilfe von Geld, Waffen und Kämpfern.

Zu dieser Zeit koordinierte der Zentrale Generalstab nur wenig untereinander. Gentil Duarte selbst war in der „alten“ FARC-EP Mitglied des Zentralstabs des Ostblocks der FARC-EP, hatte also durchaus Erfahrungen. war. Das erste Mal, dass ein Sekretariat des Zentralen Generalstabs in der Öffentlichkeit auftauchte – also ein kollektives Entscheidungsgremium, war ein Kommuniqué am 12. September 2019 als Reaktion auf das Erscheinen der FARC-EP, Zweites Marquetalia im August 2019 unter dem Kommando von Iván Márquez. Und erst am 16. April 2021 gab es wieder ein Kommuniqué der Gesamtstruktur, diesmal als Zentraler Generalstab der FARC-EP. Dies geschah im Zuge der Auseinandersetzungen der 10. Front mit den venezolanischen Streitkräften. Immer weiter ging die interne Kommunikation voran, sowohl in den beiden großen Blöcken im Osten und auch Westen, als auch intern als Zentraler Generalstab, der sich im Dezember 2021 noch einmal in einem Jahresrückblick positionierte.

Nach dem Tod von Gentil Duarte im Mai 2022 nahm die interne Kommunikation und auch das nach Außenauftreten zu. Iván Mordisco übernahm das Kommando des Zentralen Generalstabs und es wurden neue Entscheidungen über andere Einheiten der Organisation getroffen: zum Beispiel die einseitige Einstellung der Feindseligkeiten vor den Präsidentschaftswahlen 2022, das Verbot der Entwaldung (obwohl es hauptsächlich die Einheiten des Ostens betraf) der Befehl an Antonio Medina als Kommandanten der 10. Front, den Konflikt mit der ELN zu beenden. Es kam auch zu ersten Treffen und die Einbeziehung von Kommandierenden aus anderen Landesteilen bei vertraulichen Treffen mit der Regierung. Man erkennt also die Stärkung der kollektiven Entscheidungsgewalt als vorher nur das Orientieren an Entscheidungen.

Angesichts dieser Tendenz gibt es innerhalb des Zentralen Generalstabs ein Paradoxon: Je geringer der Fokus auf die Organisation – auf die Fronten und Kolonnen – desto deutlicher werden die Statuten und Disziplinarmechanismen angewendet. Gleichzeitig ist die Qualität der Statuten und Disziplinarmechanismen in mehreren Teilen des Landes sehr unterschiedlich und wird mitunter nicht einheitlich angewandt. In den Einheiten des Ostens gibt es laut CORE-Stiftung eine strikte Anwendung der Statuten und klare und partizipative Disziplinarmechanismen, während im Südwesten diese anscheinend nicht konsequent angewendet werden und viel von den Kommandierenden abhängt. Das bedeutet, dass die Tendenz, eine Organisation mit mehr Führung und Kontrolle zu sein, noch einen langen Weg vor sich hat, bis sie sich konsolidiert hat.

Neben Iván Mordisco als Oberkommandierender, der eine größere Partizipation und Vertikalität in der Entscheidungsfindung bevorzugt, trotzdem aber strikte Maßnahmen in der Durchsetzung fordert, ist es vor allem der angehende Friedensprozess, der für eine interne Stärkung der FARC-EP sorgt. Das Treffen der Kommandierenden in der Ebene des Yarí zwischen Ende März und Anfang April, war das erste Treffen, an dem fast alle Kommandierenden der verschiedenen Strukturen der FARC-EP teilnehmen und gemeinsam Entscheidungen treffen konnten. Die interne Tendenz des Zentralen Generalstabs geht in Richtung Zentralisierung, aber unter gemeinsamer Beteiligung der verschiedenen regionalen Einheiten in einem großen Bündnis. Die aktuelle Situation ermöglicht es den Kommandierenden, einen Fokus auf die Politisierung der Einheiten zu legen und an einem Gesamtkonzept zu arbeiten, dass erst am Anfang steht, fragil ist und noch lange nicht beendet sind wird.

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