Wie sieht es im Südosten Kolumbiens aus?

Nach dem schweren Schlag gegen die FARC-EP, Zweites Marquetalia, in der vergangenen Woche, als zwei ihrer bekanntesten Kommandierenden getötet worden sind, ist deutlich geworden, wie labil und abhängig die sich neu aufbauende Guerilla auch in Bezug auf einzelne Personen ist. Zwar kann hier noch nicht von einem Ende des Projektes des Zweiten Marquetalia gesprochen werden, doch der Verlust, gerade beim Aufbau von neuen Strukturen, wird sehr schwer werden. Normalerweise funktioniert eine Guerilla mit ihrer Kommandeursebene so, dass alle Positionen auch wieder zu ersetzen sind. In der alten FARC-EP funktionierte dies in Bezug auf die oberen und mittleren Kommandierenden auch sehr gut. Doch bei einer sich im Aufbau befindlichen Guerilla, die besonders in der Außendarstellung von ihren Kommandierenden und ihrer Erfahrung in der alten FARC-EP profitierte, dürfte das anders sein. Immerhin sind diese Kommandierenden mit ihrem Ruf als alte und erfahrene Kämpfer wie Emissäre in die verschiedenen Regionen ausgesandt worden, um Verbindungen und Strukturen aufzubauen, neue Leute zu rekrutieren und Unterstützungsnetzwerke aufzubauen.

Das Fehlen dieser erfahrenen Leute mit ihrem Ruf dürfte aber die aufständische Bewegung des Zweiten Marquetalia sehr schwächen. Ihr Ansatz war zudem, die Guerilla von oben nach unten aufzubauen, ein Kritikpunkt, der von vielen mit der Guerilla sympathisierenden Personen angebracht wurde. Das eigentliche Ziel, eine gemeinsame neue FARC-EP, also auch mit den Strukturen um Gentil Duarte und Iván Mordisco, aufzubauen, scheiterte früh. Unter anderem auch daran, weil dies aus Sicht der 1. und 7. Front unter Duarte und Mordisco als eine Bevormundung von Kommandierenden angesehen wurde, die zuvor noch durch den Friedensprozess die Guerilla verkauft an die Regierung verkauft und somit die Ideale verraten hatten. Immerhin war Iván Márquez als Oberkommandierender des Zweiten Marquetalia und die anderen, auch getöteten Kommandierenden, an den Friedensgesprächen beteiligt, auch wenn sie sich immer wieder mit Kritik an der Umsetzung von sich hören ließen.

Dieser vermeintliche Verrat an der revolutionären Sache und auch, weil die Strukturen um die 1. und 7. Front bereits vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens betonten, die Waffen nicht niederzulegen und den Kampf fortzusetzen, führte dazu, dass sich die FARC-EP um Duarte und Mordisco im Südosten frühzeitig konsolidieren konnte. Schon immer war die Region der Provinzen Meta, Guaviare und Caquetá ein Epizentrum der aufständischen Bewegung. Es musste also keine neue Bewegung aufgebaut werden, sondern man konnte die bereits vorhandenen Strukturen nur reaktivieren und neue Leute hinzugewinnen. Mit Kommandierenden aus der damaligen mittleren Ebene der alten FARC-EP konnte man zudem auf Personen zurückgreifen, die ebenso jahrelange Erfahrung im politisch-militärischen Kampf hatten, besonders in dieser Region. Im Gegensatz dazu musste die FARC-EP, Zweites Marquetalia, erst neue Strukturen aufbauen und hatte zwar schillernde Kommandierende, aber keine breite Unterstützung in der Basis mit Kämpfern und Milizionären.

Nach dem Bekanntwerden des Fortsetzens des Kampfes der 1. Front scharten sich immer mehr Kommandierende um die 1. Front und erklärten das Weiterführen der Guerilla FARC-EP. Damals waren neben Iván Mordisco und Gentil Duarte auch noch Euclides Mora, John Cuarenta, Giovanny Chuspas und Julián Chollo mit dabei. Im Dezember erklärte die 7. Front unter dem Kommando von Gentil Duarte die Reorganisation der FARC-EP, dem sich zeitnah auch die Front Acacio Medina anschloss. Es folgte eine Neustrukturierung im Südosten Kolumbiens mit Personen aus den ehemaligen Fronten 1, 7, 16, 27, 33, 40, 42, 43, und 62. Heute zählen diese Strukturen im Südosten, die sich auch mit Strukturen aus dem Westen für eine Kooperation verbunden haben, zu den aktivsten im Land, auch wenn sicherlich ihre politische Strahlkraft nicht mit der des Zweiten Marquetalia gleichzusetzen war. Doch in Bezug auf die politisch-militärische Stärke und vor allem der Präsenz in den Territorien sind sie die führende Kraft.

Dies macht sich vor allem in der Kontrolle im Südosten über weite Landstriche deutlich, die nicht nur militärisch kontrolliert werden, sondern auch politisch und wirtschaftlich. Im Kontext der politisch-sozialen Organisation des ländlichen Lebens, das Verhindern der Vernichtung von Koka-Pflanzungen und das Bekämpfen von paramilitärischen Einheiten und der staatlichen Sicherheitskräfte, sind sie hier gut aufgestellt. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf Polizei und Militär, die hier faktisch als Besatzungsmacht agieren. Selbst Schläge der Armee gegen ihre Strukturen, wie beim Kommandierenden Rodrigo Cadete, konnte die Guerilla überstehen. Und hier zeigt sich die Festigung der politisch-militärischen Arbeit und inneren Konsolidierung gegenüber denen des Zweiten Marquetalia. Hinzu kommt eine ungefähre Zahl von über 1700 unter Waffen stehenden Kämpfern sowie einem großen Netz an Milizionären und Unterstützern der Region. Während die einen also um ihr Überleben kämpfen, festigt die andere Seite ohne großes öffentliches Brimborium ihre Stärke.

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