Wendepunkt in der Partei FARC?

Eine der wesentlichen Faktoren des erfolgreichen Friedensprozesses und der Wiedereingliederung der FARC-EP in das zivile und politische Leben war neben der Waffenniederlegung das Gründen einer Partei und die Teilnahme an der kolumbianischen Politik mitsamt ihrer Wahlen. Doch schon im Gründungsprozess, bei der Zehnten Guerillakonferenz, zeigte sich ein Riss durch das Kollektiv der ehemaligen Kämpferinnen du Kämpfer der FARC-EP. Dieser Riss vollzog sich noch mehr mit den ersten Wahlen und einer Unzufriedenheit der Basis mit der politischen Führung der neu gegründeten Partei. Bei den über 13.000 Kämpferinnen und Kämpfern in den 24 sogenannten Widereingliederungszonen machte sich schnell das harte Leben der Realität und ihrer Partei der Rose, gemäß dem Logo der Partei FARC, bemerkbar.

Nun steckt die Partei in einer tiefen Krise. Dies beunruhigt nicht nur die Führung der Partei und ihre immer kleiner werdende Basis, sondern ganz Kolumbien. Denn steht mit dem Niedergang der Partei FARC auch der Niedergang des Friedensprozesses? Zuletzt gab es kaum noch positive Nachrichten für die neue Partei. Zu viele Austritte, zuletzt wiederholt auch bekanntere Personen wie Tanja Nijmeijer und Martín Batalla, zu wenig positive Ergebnisse bei den Wahlen und im Allgemeinen eine schleppende Umsetzung des Friedensabkommens und eine ungenügende Sicherheit der ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer.

Besonders für Aufsehen erregen die Bemerkungen verschiedener Leute zum Grund ihrer Austritte. Es sind nicht etwas persönliche Gründe, die zum Austritt bewogen haben, sondern vor allem die Kritik an der Führung der Partei und ihrer Ziele. Tanja meint, „dass es Jahre her ist, ohne das Gefühl zu haben, mit dem in Einklang zu sein, was entschieden, diskutiert oder geplant wird.“ Und Martín Batalla, Organisator eines der bekanntesten Projekte der Wiedereingliederung mit der Kleidungsfirma „Confecciones La Montaña“, sagt zur Partei: „Ich fühle mich weder in ihren offiziellen Positionen noch in ihrer Führung vertreten.“

Andere Austritte, aber zugleich mit neuen Projekten der Wiedereingliederung abseits der Partei FARC, kommen aus dem Süden des Landes mit Fabián Ramírez und Sonia. Sie beide gründeten mit anderen bekannten Personen die Assoziation „Corporreconciliación“, in der rund 2000 ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer der FARC-EP organisiert sind und die nun außerhalb der offiziellen Widereingliederungszonen leben. Auch sie haben sich von den Bemühungen und der Führung der Partei nicht abgeholt gefühlt. Hinzu kommen Personen, die bei den letzten Wahlen nicht mehr für die FARC, sondern für andere Bündnisse oder Parteien angetreten sind und durchaus Erfolge erzielen konnten. Erinnert sei hierbei an Julian Conrado.

Das schwerwiegendste Problem jedoch sind nicht die fehlende politische Legitimation bei den Wahlen oder die Austritte aus der Partei, sondern die Hilflosigkeit, ihre Mitglieder und ihre Basis zu schützen und in der Außenwahrnehmung nur ungenügend für die Interessen der ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer und für die Umsetzung des Friedensabkommens zu tun. Fast 190 getötete FARC-EP-Mitglieder plus mehr als 40 Familienmitglieder sind ein deutliches Zeichen und rufen Angst hervor, aber auch Misstrauen und Wut gegenüber der Führung der Partei. Ein Ende ist nicht in Sicht. Da fallen die Forderungen nach einer Wiederbewaffnung oder die Kritik an einer frühzeitigen Waffenniederlegung ohne eigene Schutzmechanismen gehabt zu haben auf fruchtbaren Boden.

Wie komplex die Situation ist und wie viel Misstrauen unter allen Beteiligten liegt, zeigt der angebliche Mordanschlag auf den Vorsitzenden der Partei, Rodrigo Londoño alias Timochenko. So soll es vor zwei Wochen den Plan der unter Waffen stehenden sogenannten FARC-Dissidenten gegeben haben, Timochenko zu töten. Armee und Polizei töteten bei einer Operation zwei ehemalige Guerillakämpfer und präsentierte diese als potenzielle Attentäter. Angeblich hätten die Erzfeinde Timochenkos, Iván Márquez und alias El Paisa, den Auftrag gegeben. Nun mehren sich jedoch starke Zweifel an der Version und längst gibt es das Gerücht, dass der Staat den Keil in die Partei tiefer treiben will. Selbst Timochenko äußerte Bedenken und verweis auf Fotos, die unterschiedliche Verletzungsarten und -zeiten sowie Folterspuren zeigen.

Dieses große Problem der Unzufriedenheit und Angst überlagert ein wesentliches Problem, den Riss in der Partei, der sich schon vor dem Friedenabkommen abzeichnete. Auf der einen Seite gibt es mit Timochenko, Pastor Alape, Pablo Catatumbo, Rodrigo Granda und Carlos Antonio Losada Personen in der FARC, die die Partei in eine undogmatische Richtung, ja in die Sozialdemokratie führen wollten. Dabei bekamen sie sehr viel macht und setzten sich über viele Meinungen und Interessen hinweg. Auf der anderen Seite gibt es um Iván Márquez und Jesús Santrich große Kritiker am Friedensabkommen und Anhänger einer klassischen Linken, die nun wieder zu den Waffen gegriffen haben. Auch innerhalb der Partei FARC gibt es viele, die an eine authentische linke und radikalere Linie glauben.

Der Bruch entstand bereits vor der Gründung der Partei, vertiefte sich jedoch in den zurückliegenden Jahren. In Kuba, dem Verhandlungsort des Friedensabkommens, gab es eine Vielzahl von Personen, die an einer neuen linken Partei mitwirken wollten. Viele von ihnen waren jung, hatten einen akademischen Hintergrund und waren Teil der Klandestinen Kommunistischen Partei – der Untergrundpartei der FARC-EP, der Milizen oder anderer linker Gruppierungen. Doch sie konnten sich, abgesehen vom Namen, den Iván Márquez vorschlug und verteidigte und der jetzt wieder zur Disposition steht, politisch und inhaltlich nicht durchsetzen. Sie verließen enttäuscht die Reihen. Die ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer der FARC-EP, also diejenigen, die jahrelang eine herausragende Rolle im Krieg spielten, eroberten am Ende die meisten Räume, die ihnen das Abkommen eröffnete. Die anderen blieben außen vor, eine linke Sammlungsbewegung kam nicht zu Stande. Der Mangel an Nuancen, der sich für viele im Kongress und der alltäglichen politischen Arbeit der FARC widerspiegelte, verwischte die Möglichkeit einer Bewegung mit mehr Projektion in Gesellschaft und Politik.

Seitdem gibt es immer wieder auch öffentliche Diskussion über die Identität der Partei FARC. Mal war von Verrat die Rede, dann von allgemeiner Unzufriedenheit, Misstrauen und sogar Rebellion. So gab es vor mehr als einem Jahr einen Brief, der von Joaquín Gómez und Bertulfo Álvarez veröffentlicht wurde. Darin kritisierten die ehemaligen Guerilla-Führer Timochenkos mangelnde Führungspersönlichkeit und bezeichneten ihn als „boshaft und revanchistisch“. Und sie sagten auch mit Verachtung, dass der Präsident der Partei „spießbürgerlich“ geworden sei.

Timochenko hat in den letzten Jahren unweigerlich eine wertvolle Rolle für den Frieden im Land gespielt, aber er hat auch für einen unsicheren Frieden gesorgt. Die Führung der FARC lebt isoliert von ihren ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfern in der Hauptstadt Bogotá, gut beschützt von persönlichen Eskorten, während die Basis auf dem Land um das politische, soziale und wirtschaftliche Überleben kämpft, bedroht von der Welle des paramilitärischen Terrors, die das Land ergriffen hat. Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob die Kritikfähigkeit der Führung der FARC-Partei besser geworden ist oder ob sie weiterhin jegliche Kritik beiseiteschieben.

Es täte der Partei gut, sich zu öffnen und die Kommunikation mit der Basis wiederherzustellen. Die Partei sollte wieder die demokratische Waffe sein, um den Frieden und vor allem die Interessen derjenigen zu verteidigen, die jahrelang dafür gekämpft haben und nun dem Gebaren der rechten Regierung unter Duque und der paramilitärischen Kräfte schutzlos ausgeliefert sind. Nur durch eine neue Versammlung der Partei, einen Parteitag, kann mittels Diskussionen und tiefgreifender Veränderungen die Partei überleben. Dafür gibt es wohl bereits Planungen. Dann vielleicht auch unter einem neuen Namen, so wie es Timochenko wünscht. Aber ob der Name das grundlegende Problem ist, so wie es immer vorgetragen wird? Wir dürfen gespannt sein…

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