Interview mit Carlos Antonio Lozada

Anbei dokumentieren wir ein Interview mit Carlos Antonio Lozada, welches für den Observer und den Guardian geführt und anschließend für die Wochenzeitung der freitag übersetzt wurde.

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, abgekürzt FARC, unterscheiden sich wesentlich von vielen anderen linken Guerillagruppen, die seit den 60er Jahren in Lateinamerika gegründet wurden. Denn es gibt sie noch heute, und nach wie vor kontrollieren sie weite Teile ihres Landes. Doch auch die Zusammensetzung der FARC ist ungewöhnlich. Ihre Anführer waren nie Intellektuelle wie Che Guevara in Bolivien, sondern Bauern, die wegen der Bodenspekulation in den 50er Jahren aus Existenznot einen „Bauernkrieg“ begannen und über Jahrzehnte hinweg führten. Allerdings beschränkten sich die Feldzüge der FARC nicht auf den ländlichen Raum. In den 1990ern wurde sogar befürchtet, die Kämpfer könnten die Hauptstadt Bogotá einnehmen.

Die Präsenz der FARC in den Städten koordinierte ein Mann, dem nun – wenn der historische Friedensschluss zwischen Guerilleros und Regierung hält – zugetraut wird, dass er groß in die Politik einsteigt. Carlos Antonio Lozada gehört einer jüngeren Generation an als die Oberkommandeure der Guerilla. Zwar hat er zusammen mit ihnen im Dschungel gekämpft, doch aufgewachsen ist er in der Großstadt Cali. 19 Jahre lang war er Kommandant der urbanen FARC-Verbände. Heute hofft er darauf, die Organisation in einen „Krieg ohne Waffen, aber mit Worten“ zu führen.

carlos antonio lozada

Herr Lozada, Ihrer Guerilla werden zahlreiche Gräueltaten zur Last gelegt Wie reagieren Sie auf die Vorwürfe?

Carlos Antonio Lozada: Wir versuchen gerade, einen Krieg zu beenden, der gut 50 Jahre gedauert hat. Und Krieg ist eine Verleugnung des Menschen. Krieg ist unmenschlich, egal wie gerecht seine Gründe sein mögen. In diesem Friedensprozess müssen wir nun Verantwortung übernehmen, und dazu sind wir bereit. Nur so kann die kolumbianische Gesellschaft den Weg der Versöhnung beschreiten. Wir übernehmen den Teil der Verantwortung, der uns zukommt. Wir bereuen alles – nicht nur den Krieg, auch andere Dinge, die wir im Leben getan haben. Nur darf man dabei politische Zusammenhänge nicht außer Acht lassen. Wir haben auch persönlich natürlich viel zu sühnen – und würden gern die Zeit zurückdrehen, um nicht mehr Teil bestimmter Situationen sein zu müssen.

Warum?

Weil wir Entscheidungen trafen, die uns in der Hitze des Augenblicks gerecht und unvermeidlich erschienen, und die wir nun in der Rückschau anders bewerten.

Sie sind einer der wenigen FARC-Kommandeure, die sowohl auf dem Land als auch in der Stadt aktiv waren. Wie sah in dieser Zeit Ihr Leben aus?

Als Stadtguerillero lebte man ganz anders als auf dem Land. Es gab eine ständige Anspannung, einen permanenten Druck. Man hatte stets das Gefühl, wenn du einen einzigen Fehler machst, bezahlst du dafür mit deiner Freiheit oder gar deinem Leben. Du musst die ganze Zeit schauspielern – du musst eine Fassade der Normalität aufrechterhalten.

Auch gegenüber Nachbarn und Freunden …

… die durften am allerwenigsten wissen, dass du Untergrundkämpfer bist. Das ist schwer und erfordert gewaltige Disziplin. Auch wenn du keine Uniform trägst, musst du dir immer im Klaren sein, dass du Revolutionär bist und nie leichtsinnig sein darfst. Du tust, was ein gewöhnlicher Mensch tut, und bist es nicht. Du kannst dich betrinken, musst aber genau wissen, wo und mit wem. Im Dschungel hat das Leben physische, topografische Grenzen. In der Stadt sind es emotionale. Um nicht aufzufliegen, darfst du eigentlich kaum Freunde haben und musst bei denen auch noch aufpassen, dass sie nicht zu viel über dein Privatleben wissen. Also zog ich dauernd um. Und bei jedem Wohnungswechsel änderst du auch deine Identität. Ich dachte oft, jetzt schnappen sie mich.

Welches Programm werden Sie mit der FARC dem Land künftig anbieten?

Wenn wir in einen offenen, legalen politischen Kampf eintreten, dann als eine Organisation, die dem Bild entspricht, welches wir von den Kolumbianern haben.

Das heißt?

Ganz einfach, an der Pazifikküste werden unsere Aktivisten Afrokolumbianer sein, in der Cauca Indigene, in der Meta Leute aus den Llanos und im nördlichen Block der FARC Kariben. Den Regenbogen der kolumbianischen Bevölkerung zu erfassen, ist ein beachtliches Anliegen. Um dem gerecht zu werden, müssen wir demokratische und linke Positionen vereinen. Wir werden keine marxistische Bewegung mehr sein, sondern eine politische Heimat für verschiedene Gruppen. Aber wir lassen uns nicht beirren, das neoliberale Modell und die Korruption abzuschaffen. Wir werden Allianzen mit anderen Parteien suchen und unsere Alternativen anbieten.

Neben der FARC und der kolumbianischen Regierung waren jetzt bei den Verhandlungen in Havanna fünf Opfergruppen vertreten. Wie habe Sie die erlebt?

Als wir sie trafen, war uns klar, dass sie nicht nur für Opferzahlen stehen, sondern für Menschen mit ihrem Schmerz, ihrem Leid, ihren Erinnerungen. Das ändert die Dinge. Es erschütterte uns, dass keiner von ihnen nach Havanna kam, um nach Rache zu suchen. Sie bestanden darauf, sich mit uns an den Tisch zu setzen, zu disku-tieren und nicht eher aufzustehen, bis wir das erreicht hatten, wofür wir uns hinsetzten: einen stabilen inneren Frieden. Wenn man sieht, wie weich die Menschen sind, was für eine Gabe zur Versöhnung, zum Verzeihen sie haben, dann beginnt man eine Pflicht zu verspüren. Man begreift, dass der Wunsch nach Frieden und Aussöhnung tief in der Seele unseres Volkes sitzt. Darum darf auch im Moment, da weiter verhandelt wird, niemand die Gespräche scheitern lassen.

Da sitzen nun auch kolumbianische Militärs Ihnen gegenüber. Wie gehen Sie damit um?

Seit einem ersten Dialog mit der Regierung in den 90er Jahren haben wir immer gesagt, die Armee muss Teil des Dialogs sein. Nun sind zwei pensionierte Generäle dabei – Jorge Enrique Mora und Óscar Naranjo. Was uns mit ihnen verbindet, ist das verzweifelte Bedürfnis, einen Ausweg aus dem Konflikt zu finden. Wir hatten es mit den gleichen Risiken, den gleichen Situationen zu tun, nur eben auf der anderen Seite als das Militär. Wir lernen uns jetzt kennen, stellen fest, wir sprechen dieselbe Sprache und erfahren etwas über den anderen Blick auf eine Geschichte, die wir selbst erlebt haben. Das verhilft zu gegenseitigem Verständnis.

Wie man hört, sind Sie in Havanna auch auf einen General der Armee getroffen, der versucht hatte, Sie zu töten.

Ja, 2007 – seinerzeit gab es eine große Militäroperation der Regierungstruppen, und ich war einer der Kommandeure an der Front. Wir lagen im Dschungel, Bodentruppen griffen unser Camp an, ich wurde durch einen Schuss verwundet und schlug mich bis an den Rand des Dschungels durch, um dort zu warten, bis es Nacht wurde. Ich glaubte, vor Schmerzen das Bewusstsein zu verlieren, aber dann fand mich eine Guerillera namens Isabella. Sie hat mich gerettet. Ein paar Tage später im Lazarett sah ich in den Fernsehnachrichten einen Bericht über den Angriff. Das Gesicht eines kolumbianischen Offiziers, der darin vorkam, habe ich mir gemerkt. Als dann in Havanna die Regierungsdelegation eintraf, fingen wir ein bisschen an, über Kriegserlebnisse zu reden. Und plötzlich legte einer der Offiziere – es war General Flores – die Hand auf meine Schulter, zeigte auf jemanden und sagte zu mir: Das ist der Kerl, der dich erwischt hat. Und General Flores fing an zu lachen, weil er dachte, ich wüsste das längst.

Was nicht der Fall war?

Nein.

Und wenn der Friedensschluss doch noch misslingt?

Es wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Ich will mir gar nicht vorstellen, was das mit unserem Volk anrichten würde. Wer verhandelt, dem ist es erlaubt, den Krieg aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und zu erkennen, dass wir unsere Anstrengungen vervielfachen müssen, um ihn zu beenden. Keine der kommenden Generationen von Kolumbianern soll einen solchen Krieg noch einmal durchleiden müssen. Das sollten wir als unser Vermächtnis begreifen. Wir müssen diesen Wunsch nach Frieden in Kolumbien spüren. Jeder, der an diesem Krieg beteiligt war, muss einen Sinn dafür haben, auf das Flehen in unserem Land zu hören – es ist ein Flehen nach Frieden.

Interview bei der freitag

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