Vor ein paar Wochen hielt eine Abteilung der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) in Kolumbien eine dreitägige Anhörung ab, um die FARC als verantwortlich für Entführungen anzuerkennen, die als eine der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Land innerhalb des bewaffneten Konfliktes angesehen werden. In einer dringenden Anhörung gab es dann einen Akt der Versöhnung, in der das letzte Sekretariat der FARC-EP, das höchste Gremium der ehemaligen aufständischen Bewegung, einer ausgewählte Gruppe von öffentlich ihren Schmerz und Wiedergutmachung zum Ausdruck gebracht. Immer noch nicht öffentlich diskutiert wird jedoch, dass es über Jahrzehnte eine „Entführungsindustrie“ in Kolumbien gab, an der alle Akteure, also auch Staat, Militär, kriminelle Banden und Paramilitärs, profitierten. Ohne diese Zusammenhänge und einer kompletten Aufarbeitung – auch der Verbrechen aller anderen Akteure und nicht nur der Guerilla, läuft die Sondergerichtsbarkeit vorerst nur auf Rache hinaus.
Ein Teil dieser Widersprüche manifestiert sich auch im Fall von Facundo Molares Schoenfeld, einem internationalistischen Kommunisten und einem ehemaligen FARC-EP-Kämpfer, der Kolumbien nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen verließ und in seine Heimat Argentinien zurückkehrte. Als Reporter für regionale Medien und während einer Gesundheitskrise wurde er inmitten eines von der Rechten verübten Staatsstreichs in einem Krankenhaus in Bolivien festgenommen. Er verbrachte mehrere Monate ohne medizinische Versorgung im Gefängnis, wurde zweimal mit Covid19 infiziert und erlitt irreparable Schäden am Herzen. Nach der Machtübernahme von Luis Arce wurde er schließlich freigelassen und kehrte dank der Bemühungen der argentinischen Regierung in sein Land zurück. Als er mit seinem Heilungsprozess beginnen konnte, wurde er von Interpol durch die argentinische Polizei im Haus seines Vaters verhaftet und entführt.
Der Befehl der Auslieferung, also Entführung, wurde von einem Büro der kolumbianischen Staatsanwaltschaft ausgestellt, in der ihm vorgeworfen wurde, während des bewaffneten Konflikts und seiner Teilnahme als Guerillero an einer Entführung eines Lokalpolitikers teilgenommen zu haben. Dies könnte ein Fall ordentlicher Justiz sein und Facundo Morales könnte von der Sondergerichtsbarkeit JEP profitieren, aber seine Inhaftierung verstieß gegen die Vereinbarungen des Friedensabkommens mit der FARC-EP und gegen seinen Status als ehemaliger Kämpfer. In eklatanter Verletzung des verfassungsrechtlichen Charakters der Vereinbarungen hat der argentinische Richter den Antrag auf Freilassung aufgrund seines Status als wieder in das Zivilleben eingegliederte Person nicht akzeptiert und die Möglichkeit einer Auslieferung aufrechterhalten.
Eine Woche nach seinem Prozess in Argentinien kontaktierte die kolumbianische Staatsanwaltschaft die Sondergerichtsbarkeit JEP und akzeptierte, dass es nicht sein Arbeitsbereich sei. Seit Januar 2022 ist Facundo Morales Antrag auf Anerkennung als amnestierter Kämpfer in der JEP und erst vor ein paar Wochen hat dieses Gericht reagiert und anerkannt, was sein Vater seit Monaten fordert: Die ordentliche Justiz kann in diesem Fall nicht handeln, weil Facundo Morales als ehemaliges Mitglied der FARC-EP sowie mit seiner Waffenniederlegung und Registrierung als Kämpfer Teil des bewaffneten Konflikts ist und damit Teil der Sondergerichtsbarkeit. Auch wenn er aus der Provinz Putumayo sang- und klanglos in Richtung Heimat verschwand, so gab es keine weitere Tätigkeit in der Guerilla von ihm. Das Auslieferungsersuchen der kolumbianischen Regierung sollte automatisch annulliert werden.
Die argentinische Justiz ignoriert jedoch weiterhin die Anordnung des kolumbianischen Gerichts. Facundo Morales sollte von sich aus sofort freigelassen und in einem Krankenhaus behandelt werden und hätte niemals in Bolivien oder Argentinien im Gefängnis sein dürfen. Neben dem nicht behandelbaren Herzschaden, für den er in Lebensgefahr schwebt, verlor er bei den staatlichen Entführungen das Augenlicht eines Auges. Es bleibt also abzuwarten, wie die Gerichte weiterhin arbeiten und wir können nur hoffen, dass es bald zu einer Einigung kommt. Der Fall Facundo Morales steht exemplarisch für weitere ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer, die in der Schwebe der Justiz hängen und deren Status als ehemalige Mitglieder der Guerilla eigentlich klar sein sollten. Zumal es von ihnen keine weitere Betätigung an staatsgefährdenden Tätigkeiten gab, sondern sie ihre Bereitschaft an der Aufarbeitung des Konfliktes betonten.
Zu nennen sind hier unter anderem Simón Trinidad, der als hochrangiges Mitglied der FARC-EP 2004 in Ecuador festgenommen und an die USA ausgeliefert wurde. Ihm wird die Beteiligung an der Entführung von drei Amerikanern vorgeworfen. Auch wegen Drogenhandels sollte er angeklagt werden, was jedoch scheiterte. Er ist im Hochsicherheitsgefängnis von Florence, Colorado, inhaftiert. Eine andere Person, die Probleme mit ihrer Anerkennung bzw. mit Interpol hat, ist Tanja Nijmeijer. Sie darf aus Kolumbien nicht ausreisen, ihr Status als ehemaliges Mitglied der FARC-EP zwar klar, doch in Bezug auf ihr weiteres Leben hat die Niederländerin große Probleme. Auch ihr wird die Entführung von US-Amerikanern vorgeworfen. Der Sondergerichtsbarkeit sind also die Hände gebunden, solange Gerichte bzw. Staaten wie die USA an ihrer rachesüchtigen Art und Weise festhalten und nicht an Aufarbeitung, Frieden und Versöhnung.
Mehr zum Internationalisten Facundo Morales hier: Der Weg des Facundo Morales