In einem Interview mit der kolumbianischen Tageszeitung „El Espectador“ äußert sich der Chef der humanitären Organisation des Internationalen Roten Kreuzes, Christoph Harnisch, zum bewaffneten Konflikt in Kolumbien. Unter anderem geht er auf die Klassifizierung der dissidentischen Gruppen der FARC als Akteure im Konflikt ein.
Zuerst stellt Christoph Harnisch fest, dass wir es in Kolumbien mit einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt zu tun haben. Laut den Genfer Konventionen, die unter anderem das Humanitäre Völkerrecht in ihrem Fokus haben, gibt es zwei Klassifizierungen in den insgesamt vier Genfer Abkommen von 1949 und ihrer Zusatzprotokolle. Sie regeln den Schutz von verwundeten und kranken Militärpersonen zu Lande und zur See sowie die der Kriegsgefangenen. Zudem ist der Schutz von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt in einem vierten Genfer Abkommen verankert. Hauptsächlich treten die Bestimmungen jedoch nur für internationale bewaffnete Konflikte in Kraft.
Für den bewaffneten Konflikt, als nicht-internationaler – obwohl darüber auch in der aufständischen Bewegung gestritten wurde denn schließlich haben auch die USA militärische Kräfte in Kolumbien und waren sie in der Aufstandsbekämpfung im Rahmen des Militärplans „Plan Colombia“ beteiligt – gilt also das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht-internationalen bewaffneten Konflikten (Protokoll II). Hier geht es um den Schutz der wichtigsten Menschenrechte in nicht internationalen bewaffneten Konflikten, das heißt in Bürgerkriegen. Das zweite Zusatzprotokoll weitet die Mindestgarantien von Grundrechten, welche bereits in Artikel 3 der vier Genfer Abkommen enthalten sind, auf den internen bewaffneten Konflikt aus.
Der Chef des Internationalen Roten Kreuzes, Christoph Harnisch, erinnert den kolumbianischen Staat daran, dass er die Genfer Konventionen unterzeichnet hat und, so sehr er auch versucht, die Worte zu ändern, verpflichtet ist, das zu beachten, was er unterzeichnet hat. Diese Verträge sehen die Mindeststandards für die Durchführung von Feindseligkeiten und den Schutz von Zivilisten in dem Konflikt vor. Daneben ist das humanitäre Völkerrecht ein juristisches Gremium, welches den bewaffneten Akteuren die Möglichkeit gibt, zu wissen, welche Ziele sie in der Rechtmäßigkeit angreifen können. Es legt sozusagen fest, wer als bewaffneter Akteur gilt und dadurch politisch-militärische Anerkennung erfährt. Die Realität eines Krieges und seiner Akteure können so nicht mehr geleugnet werden. Jahrelang haben dafür die FARC-EP gekämpft, als politischer Akteur anerkannt zu werden.
Heutzutage versucht die kolumbianische Regierung erneut, den bewaffneten Konflikt zu leugnen und die politisch-militärischen Organisationen als kriminelle Banden oder Terroristen zu diffamieren. Die Sprache und Propaganda gelten dabei als wichtiges Instrument. So verwendet die Regierung für die dissidentischen Gruppen der FARC den Begriff der „organisierten bewaffneten Gruppen“ und vor allem der „Restbewaffneten Gruppen“, verkennt dabei aber, dass es sich in einem bewaffneten Konflikt mit Akteuren wie der Guerilla um Organisationen handelt, die gemäß der internationalen Bestimmungen mit gewissen Faktoren als politisch-militärische Organisationen gelten. Zu ihrer Anerkennung gehören Faktoren wie ein Mindestmaß an Organisation, Befehlsgewalt, Rekrutierung und auch Finanzierung. Natürlich muss eine politische Programmatik vorliegen.
Auf die Frage, ob das Internationale Rote Kreuz diesen Termini der Restbewaffneten Gruppen oder Terroristen verwenden würde, wird dies klar verneint. Diese gehören nicht der Rechtsprechung der Genfer Konventionen an und hier wäre auch die kolumbianische Regierung gefordert, sich an die Gepflogenheiten und Wörter der Konventionen zu richten und einem bewaffneten Konflikt aufgrund politischer und sozialer Bedingungen anzuerkennen. Andere Gruppen, wie paramilitärische Gruppen, können so als illegale kriminelle Gruppen im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht bezeichnet werden. Ihnen fehlen die eben erwähnten Faktoren der Klassifizierung.
Zum Schluss kommt Christoph Harnisch noch einmal auf die dissidentischen Gruppen der FARC zu sprechen. Was Journalisten Dissidenten nennen, haben sie studiert und sie sagen „FARC-Splittergruppen“ dazu. In ihrer Analyse gibt es drei Fronten des ehemaligen militärischen Ostblocks der FARC-EP, die 1.,7. und 40. Front, die über die Qualifikationen zu einem politisch-militärischen Akteur im Rahmen des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts verfügen. Von der Frente Oliver Sinisterra können sie noch keine Aussagen treffen, weil bisher die Zeit für eine Analyse nicht ausgereicht hat. Dies trifft auf unsere Einschätzungen, dass wir es mit dem Kontakt der Fronten untereinander und ihrem politisch-militärischen Auftreten um einen neuen alten Akteur zu tun haben, dessen Entwicklung, mit alten Erfahrungen, aber neuen Bedingungen, sicherlich abzuwarten sein wird.