In Kolumbien gibt es immer mehr öffentliche Klagen gegen den zunehmenden Paramilitarismus, der mit einem bewaffneten Streik Anfang Januar für einen vorläufigen Höhepunkt sorgte. Doch nicht nur Organisationen wie die FARC-EP (siehe Kommuniqué von Timoleón Jiménez an Präsident Santos) machen darauf aufmerksam, auch die öffentlichen Medien berichten nun mehr täglich über die Gewaltexzesse und Verstrickungen des Paramilitarismus.
Sechs Regionen von Kolumbien begingen das Jahr mit einer Intensivierung des bewaffneten Konflikts. Der Nordwesten des Landes erlebte in nicht mal einer Woche die Ermordung eines der führenden Köpfe des organisierten Verbrechens dieser Region, daraufhin einen bewaffneten Streik und schließlich die Militarisierung der Zone.
Das Phänomen der kriminellen Banden („Bacrim“ im Spanischen), ist seit 2011 allgegenwärtig in den Spalten der Tageszeitungen. Denn mittlerweile existieren die kriminellen Banden in fast allen Bundesstaaten Kolumbiens, außer in Amazonas und Vaupés wurden bisher kaum bzw. keine Aktivitäten registriert. Dieser schleichende und alltägliche Prozess der Erweiterung ihrer kriminellen Machenschaften und ihrer Einflussgebiete lässt sich nunmehr in über 300 Gemeinden feststellen.
Aber was oder wer sind die sogenannten kriminellen Banden? Hierfür gibt es verschiedene Erklärungen. Die Bezeichnung „Bacrim“, also kriminelle Bande“, kann als neuer Ausdruck des Paramilitarismus verstanden werden, deren Strukturen sich im letzten Jahrzehnt nach Regierungsaussagen demobilisieren ließen. Heute weiß man, dass dies nur ein Täuschungsmanöver war und die Strukturen weiterhin existent sind. Zudem werden die kriminellen Banden nicht nur als reine (Drogen-)Mafiabanden angesehen, sondern als Gruppen mit politischen und wirtschaftlichen Zielen. Der aktuelle Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, sah in den kriminellen Banden „die finsteren Hände der extremen Rechte Kolumbiens“. Unbestritten heute ist die Nähe der Paramilitärs zu verschiedenen Politikern, bestes Beispiel war seiner Zeit der ehemalige Präsident Álvaro Uribe Vélez mit seinen Verstrickungen in eben jene Strukturen.
Die letzte Episode dieses Dramas war der bewaffnete Streik von paramilitärischen Einheiten der „Urabeños“, einer Organisation, die vorrangig am Golf von Urabá in der Nähe zu Panama operiert. Am 5. Und 6. Januar stifteten sie große Unruhen in einigen von ihnen kontrollierten Gemeinden und Städten. In schätzungsweise 181 Gemeinden Kolumbiens zeigen zum Beispiel die „Urabeños“ ihre Präsenz.
Die Antwort der Regierung war die Verlegung von 6000 staatlichen Sicherheitskräften in die Unruheregionen Antioquia, Córdoba, Magdalena, Sucre, Cesar und Chocó. Dies bedeutet, dass der Paramilitarismus darum kämpft, von der Regierung als politischer Partner anerkannt zu werden. Die zunehmende militärische Präsenz wird sich aber auf die Lebensgewohnheiten der dortigen Bevölkerung auswirken und wahrscheinlich nicht den Einfluss der Paramilitärs zurückdrängen. Ganz im Gegenteil, der Paramilitarismus und die Militarisierung ganzer Landstriche durch staatliche Sicherheitskräfte bedeuten Vertreibung, Repression und Gewalt gegen jene Bevölkerungsschichten, die sich nicht dagegen wehren können oder aber gegen die, die aktiv Widerstand leisten, also gegen alle, die nicht Teil der kriminellen Netzwerke oder Teil des staatlichen Sicherheitsapparates sind. Hierzu zählen insbesondere die Bauern, Indígenas oder Menschen dunkler Hautfarbe.
Der Streik als eine Antwort der Rache aufgrund der Ermordung des Anführers „Giovanni“ zeigt die neue Realität des Paramilitarismus in Kolumbien. Anders jedoch als sonst, berichten diesmal die Medien ausführlich über die Ereignisse und die Regierung kann dieses Problem nicht mehr verharmlosen. Wie groß das Problem in der letzten Zeit geworden ist zeigt die Präsenz der verschiedenen Gruppen, die es im ganzen Land gibt (Urabeños, Rastrojos, Águilas Negras, Autodefensas Gaitanistas, Paisas, ERPAC, u.a.). Kenner weisen darauf hin, dass viele Strukturen dieser Gruppen vor wenigen Jahren Teil der damals demobilisierten „Autodefensas Unidas de Colombia – AUC“ waren, jener Gesamtvereinigung paramilitärischer Gruppen in Kolumbien, die Friedensverhandlungen und Demobilisierungsprogramme mit dem Ex-Präsidenten Uribe eingegangen waren. Auch das Ansteigen von Aktionen in marginalen Vierteln der großen Städte, wie zum Beispiel in den Vierteln der Ciudad Bolívar im Süden Bogotás, sind Anzeichen einer stetigen Präsenz. Soziale Säuberungen in den Vierteln, Erpressung und Übernahme des öffentlichen Verkehrswesens, Bedrohungen und Gewalt gegen soziale und politische Gegner und Gewerkschafter, gegen Verteidiger der Menschenrechte und Anwälte oder gegen Menschen die für ihren Boden und ihre Gemeinden auf dem Land kämpfen sind sprunghaft angestiegen und gehören zur Strategie.
Die kolumbianische Regierung hat lange nichts dagegen unternommen. Ein Bericht der NGO „Nuevo Arco Iris“ sagt sogar, dass die Korruption in den staatlichen Sicherheitskräften dafür sorgt, dass die Bevölkerung den Glauben an diese Institution verliert. Und tatsächlich: In den Llanos Orientales, eine Region im Osten des Landes, konnte beobachtet werden, dass mit den Militärprogramm „Plan Consolidación“ die FARC-EP durch die staatlichen Sicherheitskräfte zurückgedrängt werden konnte, aber dafür die paramilitärische Gruppe ERPAC die Positionen einnahm. Im Norden des Landes sind Fälle bekannt geworden, in der Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte zeitgleich auch Mitglieder der „Urabeños“ und „Rastrojos“ waren. Nichts hat sich geändert in Kolumbien, weiterhin gibt es einen Zusammenhang zwischen (Neo-)Paramilitarismus und Staats(-Paramilitarismus). Alte Skandale, an denen das Militär indirekt an Massakern beteiligt war, die durch Paramilitärs verübt wurden (Mapiripán, El Salado), oder in denen staatliche Stellen und Politiker führende Personen schützten und die Aktivitäten duldeten sind zu alltäglichen Skandalen geworden. Auch heute noch fühlt sich der Staat berufen, die FARC-EP zu bekämpfen, aber nicht den Kampf gegen die paramilitärischen Einheiten aufzunehmen, die die Bevölkerung terrorisieren. Mittlerweile geht man in der Regierung von mehr als 10.000 organisierten Paramilitärs aus. Selbst Human Rights Watch stellte 2010 in einem Bericht fest, dass der Staat alles unternehme, um die Banden zu unterstützen. Weiterhin wurden zum wiederholten Male die Verbindungen zwischen den kriminellen Banden und Polizei, Armee und Geheimdienst beklagt.
Klar wird, der Paramilitarismus hat weitestgehende Autonomie und dient wie in den letzten drei Jahrzehnten als repressiver Apparat des Staates. Das heißt, es werden Aufgaben übernommen, die der Staat nicht durchführen kann. Es ist der Terror als Form der sozialen Kontrolle, um wirtschaftliche und politische Macht der Drogenbarone, Unternehmer und der Oligarchie im Land sichern zu können. Der Staat bewaffnet, toleriert und unterstützt diese Gruppen.
Was die Linke, wie unter anderem die FARC-EP, in Kolumbien schon vor sieben Jahren sagte, dass die Demobilisierung der „Autodefensas Unidas de Colombia – AUC“ nur eine Show war und das Problem dadurch nicht beseitigt, sondern die Paramilitärs dadurch politisch aufgewertet werden, ist nun aktuell geworden. Mit dem bewaffneten Streik der „Urabeños“ wird nun versucht, an diese Anerkennung und Normalität anzuknüpfen.